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Aus "aber glaube":

Bei Ypern erlebte er den Beginn und bei Bautzen das Ende des zweiten Dreißigjährigen Krieges. 1915 hatte er im Westen schon im Grabenkrieg als 19-jähriger kämpfen müssen. Kämpfen.

„Nein, kämpfen war das nicht. Ich hatte zwar einen Karabiner in der Hand, der Franzose schoss aber mit schwerer Artillerie auf uns. Ob ich das Gewehr hatte oder nicht.“

Nachdem er nach einem Senfgasangriff Mitte Oktober kurzzeitig erblindete, erlebte er das Kriegsende in einem Lazarett in Pasewalk. Er half dort einem anderen verwundeten Soldaten bei der Verrichtung des täglichen Lebens.

Als Uropa wieder halbwegs sehen konnte, half er Addi bei so manchem: Rasieren, Spazierengehen, Waschen, Ankleiden, Briefe schreiben, sogar beim „Blindmalen“, so nannte Addi die Ritzereien an der Klotüre.

Er las diesem die Zeitung vor. Am 10. November löste er dann eine schiere Raserei bei diesem aus, als er ihm vom Waffenstillstand im Westen vorlas: „Verräter, Schweine. Alles Juden! Die gehören alle ins Erdloch bei Wervik und dann muss Gas darüber!“, soll er geschrien haben.

Belgischer MohnBelgischer MohnNachdem er sich wieder beruhigt hatte, half Heinrich ihm wie so oft beim Pissen – Uropa soll bei dieser Geschichte immer recht gegrinst haben: „Die Hand am Schwanz des Führers; das können so viele von sich nicht behaupten.“ - Und er bekam eines Tages (Jahrzehnte später) ein goldenes Parteiabzeichen zugestellt. „… obwohl ich nie der Partei angehörte“, sagte er immer.

„Der Feind im Westen war bei aller Brutalität bei der Wahl seiner Waffen immer berechenbar. Die waren wie wir“, soll er seinen Töchtern, Großmutter hatte noch drei Schwestern, erzählt haben. „Der Iwan aber ist das nicht. Das sind alles Schweinejuden“,  war Heinrich überzeugt. „Denen ist der Kampf egal, die wollen nur eins: die Fotzen der Weiber. Und dann geht’s wieder hinter den Ofen.“

Zusammen mit den Polen, die noch verjudeter waren als die Russen (das wussten alle), kamen die Russen auf Bautzen zu.

Die Kämpfe tobten.

Ein qualvolles Verrecken nahm seinen Lauf. Jeder brachte jeden um und Gefangene waren nur Last.

„Im Westen habe ich ’18 erkennen müssen, dass es keinen Gott und keinen Himmel gibt. Im Osten ’45 musste ich feststellen, dass es dafür eine riesige Hölle gibt und dass wir alle schon mittendrin sind“, sagte er einmal zu Herrn Moor.

Die einen wussten vor Bautzen, dass sie verlieren werden (es war nur noch die Frage wann), die anderen waren schon siegestrunken. Die Schlacht ging hin und her. Aufgeben war undenkbar: Die SS war in der Stadt.

Außerdem, so sickerte durch, hatte man den polnischen Oberbefehlshaber gefangen genommen, befragt (so nannte man es) und …, naja, es war eben Krieg.

Die deutschen Verteidigungslinien waren jedenfalls belastbar, der Pole kam nicht durch und doch – manches Mal war es besser schnell zu sterben. Damals hatte nur Gott etwas dagegen, wenn man sich selbst die Birne wegschoss. „Dem Teufel war das scheißegal und der hatte dort schließlich das Sagen. Der Scheißkerl lässt auch nicht los.“

Nachdem nämlich die Angreifer aber doch Hunderte Volkssturmmänner gefangen genommen hatten, wurden diese kurzum in eine Scheune gesperrt und Beelzebub schiss auf die Scheune und in die Hirne derer, die drum herum standen.

Die Scheune – und die Scheune war nur eine Scheune, ohne Festmahl darin und ohne Prunk, nur ganz viel Stroh vom letzten Sommer - wurde angezündet, genauso, wie es vormals Markgraf Gero mit den Slawenfürsten tat. Das war ja so üblich in der Gegend. Und nochmals darauf geschissen; was macht‘s, dass es keine Fürsten waren. Blut schreit nach Blut! Auch wenn man sich dorthin durchbrennen muss.

Wer so was tut, so frage ich mich, hat er nicht bedacht, was dieses in und vor allem mit ihm selbst macht:

Verbranntem Fleisch riecht man nicht an, an wem es gewachsen ist, das Quieken aus den Hälsen beim zügigen Ableben klingt wie das von krepierenden Schweinen und in jeder Sprache gleich. Selbst der Geschmack der Luft und die Hitze der Flammen sind genauso chinesisch wie hebräisch wie polnisch oder russisch oder auch deutsch. Nicht einmal auf die Hautfarbe vorher kommt es an. Am Ende hat alles die gleiche Farbe, die gleiche Wärme, denselben Geruch und es schmeckt sogar ein bisschen wie bei Mutter am Herd, richtige gute Hausmannskost – furchtbar!

Der Alten wurde dann – egal, ob sie Frida, Ilonka, Mascha oder irgendwas mit Sarah hintendran hieß – später mal schnell eben die Pfanne an den Kopf geschmissen und herzlich hinterher gekotzt. Das passierte oft und die Fridas, Ilonkas, Maschas oder die irgendwas mit Sarah hintendran dachten, es lag an ihren Kochkünsten.

Nee, der Schiss vom schwarzen Fürsten Baal klebt ewig an der Seele - oder so ähnlich.

Alles das bleibt in denen, die dabei standen – damals und damals. Tief in dir und in dir und in dir, genau wie in mir. Du bist jetzt einer von uns. Du kannst nun nicht mehr sterben. Selbst wenn du hoffst, dass es nach dem Tode nur noch nichts gibt, so ist für dich nun jede Kirche, jede Moschee, jede Synagoge, jedes ‚mein Gott‘ eine Drohung, eine Fratze.

Pure Angst.

Aus jedem dieser Gotteshäuser scheißt er dir wieder mitten in die Fresse. Du kannst nicht sterben, weil es das Fegefeuer gibt. Auf einmal stehst du mitten in diesem Purgatorium und das auch noch im Irdischen und ohne, dass dich vorher ein Alterszipperlein darauf hinwies.

Gib zu, du glaubst daran; mit jedem Zahn, der dich verlässt, mit jedem grauen Haar, jeder runzeligen Falte weißt du, dass es über dich kommt und du hoffst, dass Luzifer nur weiter scheißt.

Wie viele Ablässe hast du dir schon seither zugelegt? Wie viele Maskottchen hängen bei dir zu Hause? Wie viele Talismane trägst du ständig bei dir?

Wovon träumst du nachts oder am Tag?

Und der Geruch.